Referat von Markus Schaber im Rahmen des Proseminars "Neue Medienkompetenzen" im Sommersemester 99 an der Universität Ulm.
"Ich glaube, daß dieses Erlebnis, bei Regen eine Tür zu seinem Garten zu öffnen, mit dem vergleichbar sein muß, was ein Sehender empfindet, wenn er morgens die Vorhänge aufzieht und die Welt draußen sieht [...]. Der Regen enthüllt mir mit einem Male die ganze Fülle einer Situation, und die nicht bloß erinnert, nicht antizipiert, sondern gegenwärtig und jetzt. Der Regen öffnet mir die Welt nach vorn und zeigt mir die tatsächlichen Beziehungen eines Teils der Welt zu einem anderen. Wenn es im Zimmer regnen könnte, so würde mir das helfen zu verstehen, wo die Dinge in diesem sind, würde mir ein Gefühl dafür vermitteln, daß ich in diesem Zimmer bin und nicht nur auf einem Stuhl sitze."
Diese Worte des blinden Schriftstellers John Hull [4.3] belegen eindrücklich die unterschiedliche, rein akustische Wahrnehmung des Raumes durch Blinde.
Accessible Design - oder auch rezeptive Generalisierung - bedeutet nun, einen Zugang zu etwas möglichst allgemein und uneingeschränkt zu gestalten. Es ist der Versuch, unnötige Ausgrenzungen durch intelligente Anwendung der Möglichkeiten zu vermeiden, und so beispielsweise auch Blinden ein komplettes Erlebnis zu bieten.
Es ist also das aktive Gegenteil von einem Zugangsschutz, der in einigen Bereichen sicher auch sehr sinnvoll ist (z. B. Paßwortschutz oder Schlösser).
Vor welche Probleme Behinderte im täglichen Leben gestellt werden, oft durch Ignoranz von Entscheidungsträgern, beweist der Artikel "Wir sind nicht behindert - Wir werden behindert!" von Gerold Korbus [2.4], der unter der URL http://www.stachel.de/98.09/9uni.html abrufbar ist.
Allein in Deutschland gibt es ungefähr 155 000 Blinde und 500 000 stark sehbehinderte Menschen, 14 000 blinde Kinder und Jugendliche absolvieren derzeit eine Ausbildung [3.1]. Diese Zahlen zeigen, um welche großen Bevölkerungsgruppen von diesen Problemen betroffen sind.
Es geht hier aber nicht nur um die (sicher oftmals unabsichtliche) Ausgrenzung von Behinderten im engeren Sinne, sondern auch von älteren Menschen, die nicht mehr allzu gut sehen und hören, oder Kranken. Auch Mitbürger, die nicht die neueste technische Ausstattung besitzen, oder der Sprache nicht mächtig sind, sind davon betroffen. Menschen, die mangels eines Autos nicht mobil genug sind. Und noch viele mehr in den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens.
Die Betroffenen Personen müssen in vielen Bereichen des Lebens Einschränkungen hinnehmen, insbesondere auch im Bereich der neuen Medien. Besonders problematisch ist hierbei, daß diese Medien noch nicht allzu lange existieren, und deshalb die Entwicklung in diesem Bereich noch nicht allzu fortgeschritten ist.
Zum einen existieren motorische Probleme wie z. B. bei Behinderungen, die die Benutzung der herkömmlichen Bedienungsgeräte erschweren oder unmöglich machen. Andererseits gibt es aber auch sensorische Probleme, also Probleme bei der Wahrnehmung. Wie sich dies im Einzelnen auswirkt, ist am Beispiel der Blinden im Umgang mit modernen Benutzeroberflächen zu sehen, die folgende drei Problembereiche zu überwinden haben (Aufstellung aus [4.1], siehe auch [4.2]):
Ähnliche Probleme gibt es in allen Bereichen zu überwinden, indem man Umgehungsmöglichkeiten, Alternativen und neue Konzepte als Ersatz für die herkömmlichen Zugriffsmöglichkeiten schafft. Dies sollte natürlich mit möglichst wenig Aufwand, großer Wirkung und ohne Störung der normalen Abläufe funktionieren.
Einige der daraus resultierenden Beeinträchtigungen werden aktiv vom Gestalter / Erzeuger herbeigeführt, Beispiele hierfür sind:
Hier sind zwei Gründe die Ursachen: Zum einen will man möglichst wenig (teures) Papier verbrauchen, und zum zweiten liegt es sehr oft im Interesse des Verwenders, wenn sich die Kunden das Kleingedruckte nicht so genau durchlesen.
Hier sind mehrere (größtenteils vermeidbare) Beeinträchtigungen möglich:
Durch unbedachte Farbgebung kann man Untertitel auf Schwarzweiß-Fernsehern unsichtbar machen, ein Beispiel hierfür ist unter der URL http://www.schabi.de/medien/untertitel/ zu finden. Beim oberen Bild ist der Untertitel im Schwarzweißen noch gut zu erkennen, beim unteren dagegen nicht mehr.
Andere Beeinträchtigungen liegen im Medium selbst begründet, können jedoch durch teilweise durch geeignete Hilfen gemildert werden, beispielsweise:
Hier existiert das Hilfsmittel des Videotext-Untertitels, das zumindest die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten noch zeitweise anbieten.
Der österreichische Rundfunk (ORF) strahlt einige Nachrichtensendungen zu bekannten Terminen mit einer Einblendung eines Simultandolmetschers in Gebärdensprache aus. Allerdings ist auch das nicht ganz Problemlos, so existiert z. B. derzeit noch keine Gebärde für den Euro, unter http://www.denhaag.org/%7Evitaal/gvdw/referendum/referendumdeutsch.html läuft derzeit eine Abstimmung zu diesem Thema.
Das Lesen normaler Zeitschriften ist für Blinde unmöglich. Es gibt jedoch Hilfsmittel, die das Vorlesen der Zeitschrift per Computer ermöglichen sollen, allerdings ist die Qualität nicht so gut wie bei einem menschlichen Leser. Als Alternative stehen die Online-Angebote der Zeitschriften zur Verfügung, die jedoch inhaltlich oft eingeschränkt sind, und gut mit Werbung angereichert. Hier tut sich der Heise-Verlag hervor, der beispielsweise bei seinen Computer-Fachzeitschriften c't und ix ein kostenloses Abo für stark Sehbehinderte anbietet. Diese bekommen die Zeitschriften im jeweils am Erstverkaufstag im ASCII-Format per E-Mail zugesendet. (Infos unter http://www.heise.de/abo/ct/sehbehindert.shtml bzw. http://www.heise.de/abo/ix/sehbehindert.shtml.)
Im deutschen Grundgesetz, der Grundlage unseres Rechtssystems, sind folgende Bestimmungen festgelegt:
Diese Bestimmungen gelten direkt für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, also für die Gestaltung sämtlicher Interaktionen zwischen Staat und Bürger. Außerdem sind sie Richtlinien für die Zivil- und Strafgesetzgebung, die die Interaktion zwischen den Bürgern betrifft. Dies führte beispielsweise zu Regelungen in Bezug auf Behindertenparkplätze, um bestimmte Gebäude "zugreifbar" zu machen. Im Bereich der neuen Medien sind noch kaum Regelungen vorhanden.
Hier ist eine besondere Verpflichtung gegeben, für alle Bürger erreichbar zu sein. Allerdings zeigen gerade öffentliche Einrichtungen oft wenig Kenntniss im Umgang mit den neuen Medien und auch mit den Problemen der Behinderten. Die Aufträge werden oft mangels interner Qualifikation an externe Firmen vergeben, und die Zugreifbarkeit ist oft kein Kriterium im Entscheidungsprozeß. Außerdem wird bei Ausschreibungen im Allgemeinen die billigste Lösung angenommen, und nicht die qualitativ höherwertigen.
Können sie sich an einem Parkhaus eines Geschäfts ein Schild "Parking best with Mercedes S-Class" vorstellen? Und das Parkhaus ist dann tatsächlich so gebaut, daß man mit einem der Stuttgarter Autos problemlos parken kann, mit einem 5er-BMW kommt man mit viel Gefühl und rangieren auch noch rein, und alle anderen Autos können gar nicht Parken?
Dieses Geschäft wird nicht allzuviele Kunden haben. Ebenso schließen beispielsweise entsprechend designte Web-Seiten viele Kunden aus, oder zwingen diese, sich mit bestimmter Hard- und Software auszustatten, um die Seiten zu besuchen. Neben den direkt Betroffenen vergrault man sich aber eventuell auch andere Kunden, die darauf Wert legen, oder sonstwie gestört werden. Schließlich wirken sich viele Fehler auf alle Mitmenschen aus, nur trifft es sie nicht so stark.
Für private Homepages ist es natürlich eine persönliche Entscheidung, die man selbst treffen muß. Allerdings ist es wohl Sinn und Zweck der meisten Seiten, sich öffentlich zu präsentieren, und deshalb auch sinnvoll, diese Öffentlichkeit möglichst groß zu machen.
Es gibt vier grundlegende Möglichkeiten, die Zugänglichkeit zu verbessern.
Wenn das Objekt von Anfang im Hinblick auf das "accessible Design" geplant und verwirklicht wird, ist dies die effektivste Möglichkeit, da keinerlei Arbeit mehrfach anfällt, und alle Möglichkeiten und Probleme direkt bei der Entstehung einfließen können.
Wenn aus bestimmten Gründen die Berücksichtigung dieser Aspekte bei der Erstellung nicht möglich ist, oder das Produkt schon fertig ist, sollte man vernünftige Alternativen anbieten.
Beispiele hierfür sind andere Dateiformate, alternative Web-Seiten zur Navigation (Site-Maps) oder auch Videotext-Untertitel.
In vielen Medien haben sich Neuerungen Schritt für Schritt durchgesetzt. Graceful Degradation bedeutet nun, daß eine Neuerung "Abwärtskompatibel" ausgeführt wird. Ein Empfänger, der die Neuerung nicht anwenden kann, bekommt in diesem Fall annähernd das gleiche Ergebnis wie vor der Verbesserung, während die anderen in deren vollen Genuß kommen.
Ein altes Mono-Radion kann beispielsweise ohne Probleme Stereo-Sendungen empfangen, ein Schwarzweiß-Fernseher Farbausstrahlungen anzeigen, oder ein HTML-Browser ignoriert unbekannte Tags und stellt den damit formatierten Text eben ohne die zusätzlichen Formatierungen dar.
Wenn keine der obigen Möglichkeiten zu ausreichendem Erfolg führt, gibt es für die Empfänger noch zusätzliche Hilfsmittel. Diese funktionieren allerdings oft effektiver, wenn die ersten drei Möglichkeiten verwirklicht wurden - auch wenn sie manchmal die einzige realisierbare Möglichkeit ist, da sie als einzige vom Empfänger kontrollierbar ist.
Es gehören hierzu Sprachausgabegeräte, Screen-Reader und Braille-Zeilen (Geräte, die mittels Nadeln eine Zeile in Blindenschrift fühlbar darstellen) für den Computer ebenso wie einfache Brillen und Kontaktlinsen. Bereits die Möglichkeit, eine Werkzeugleiste als Text darzustellen, oder ein stufenloser Zoom (bietet z. B. der Opera-Browser und fast alle Textverarbeitungen) bieten enorme Erleichterungen speziell für leicht Sehgeschädigte. Bei IBM ist gerade ein sprechender Browser in Entwicklung [2.12], bei der Senior-Info-Mobil-Aktion können ältere Menschen Vorlesegeräte austesten [2.14].
Alle diese Möglichkeiten können nur versuchen, Defizite auszugleichen, sie können kein vollkommener Ersatz sein. Dies schmälert allerdings nicht die Notwendigkeit, sie einzusetzen.
Das Oldenburger Forschungs- und Entwicklungsinstitut für Informatik-Werkzeuge und Systeme arbeitet derzeit am ZIB-Projekt (Zugang zum Internet für Blinde und Sehgeschädigte).
Um die Probleme, die blinde Menschen mit der Bedienung moderner, grafischer Oberflächen haben, zu umgehen, entwickeln sie eine auf akustischen Signalen basierende, räumliche Benutzerschnittstelle. Diese basiert auf sogenannten Hearcons, die die Entsprechung der grafischen Icons sind.
Hierbei sind folgende Probleme zu bewältigen:
Da die direkte Umsetzung einer grafischen Benutzeroberfläche problematisch ist (insbesondere aufgrund von 2. und 3.), wird eine eigene Schnittstelle namens SPUI-B (StereoPhonic User Interface for Blind) entwickelt. Damit will man die Vorteile von Fensterumgebungen für Blinde verfügbar machen, ohne sich die Nachteile einer eins-zu-eins-Umsetzung einzuhandeln. Man ermöglicht also die Realisierung von Metaphern in gewohnter Umgebung, die einfache Steuerung parallel laufender Anwendungen, die direkte Manipulation der Hearcons sowie die Möglichkeit, der Position eine Bedetung zuzuordnen.
Im Projekt wird interdisziplinär mit anderen Wissenschaftlern und Instituten kooperiert, der aktuelle Arbeitsplan beinhaltet folgende Punkte::
Literatur / Quellen: [1.1],[2.3],[4,1],[4.3]
Braille-Zeilen sind wohl die beste Möglichkeit für Blinde, allerdings sehr teuer (zehn bis vierzigtausend Mark) und müssen - speziell im geschäftlichen Einsatz extrem zuverlässig arbeiten, da bereits eine Fehlfunktion einer einzigen Nadel unbemerkt das gelesene Verfälschen kann.
Hardwarebasierte Lösungen, die direkt auf den Grafikspeicher zugreifen, funktionieren bisher nur mit alten ISA-basierten Grafikkarten, die im Textmodus noch ausreichend Geschwindigkeit aufweisen. Allerdings ist der ISA-Bus in neuen Rechnern nicht mehr enthalten, und auch Grafikkarten für dieses Bus-System sind nur noch gebraucht erhältlich. PCI-Lösungen bietet noch kein Anbieter an. Da diese Karten auf den Textspeicher der Grafikkarte zugreifen, arbeiten sie zwar einerseits nicht mit Windows zusammen, weshalb sie gebraucht relativ günstig erhältlich sind. Andererseits ermöglichen sie sogar das Verfolgen des Boot-Vorganges oder das Bearbeiten der BIOS-Einstellungen, da sie keine Treiber benötigen.
Softwarebasierte Lösungen arbeiten mit diversen Tricks auch im Grafikmodus mit brauchbaren Ergebnissen, allerdings ist auch hier angepaßte Software von Vorteil. Nützlich ist beispielsweise die Möglichkeit, die Werkzeugleisten als Texte anstatt grafischer Ikone darzustellen, wie sie der Netscape-Browser bietet.
Als wesentlich günstigere Lösung dienen Sprachausgabesoftware. Sprachsynthese wurde schon 1985 serienmäßig mit den ersten Amigas ausgeliefert, allerdings mit keiner begeisternden Qualität. Auch heute noch leidet derartige Software unter denselben Problemen: Die automatische Erkennung der Sprache und die vielen Ausnahmen wie z. B. Fremdwörter. Dies in Verbindung mit der Möglichkeit, über CD-Roms die Sprachausgabe für Multimediaprojekte und Spiele direkt über Aufzeichnungen eines menschlichen Sprechers durchzuführen, sind vermutlich der Grund dafür, daß Synthesesoftware inzwischen bei keinem System mehr serienmäßig mitgeliefert wird. Ähnlich wie bei der Braille-Unterstützung ist auch hier eine Erkennung der Textinhalte auf dem Bildschirm als "Vorstufe" notwendig.
Für die Umsetzung über Braille-Zeilen oder Sprachausgabe eignen sich textorientierte Oberflächen deutlich besser als grafische. Deshalb sind viele der Anwendungen für Blinde noch DOS-Textmodus-Anwendungen. Diese Plattform bietet aber auch Nachteile, wie fehlendes Multitasking und keine Weiterentwicklung durch den Hersteller. Auf der Suche nach einer Altrnative wurde man beim freien Betriebssystem Linux fündig, das - wie alle Unix-artigen Betriebssysteme - eine textbasierte Konsolenschnittstelle mit vielfältigen Möglichkeiten bietet und zudem kostenlos im Internet und günstig auf CDs (sogenannte Distributionen) erhältlich ist.
Der ebenfalls kostenlose, textbasierte und laufend weiterenwickelte Browser Lynx [2.10], der für fast alle denkbaren Systeme erhältlich ist, wird in einer speziellen Version für Blinde erweitert. Lynx unterstützt HTML 4.0 vollständig und kann Frames erkenen und umgehen, prinzipbedingt kann er allerdings JavaScript, Java, ActiveX oder Plugins nicht interpretieren.
Weitere Software wie UXDOTS oder BRLTTY zur Ansteuerung von Braille-Zeilen oder eines der zahlreichen Sprachausgabepakete arbeiten nicht nur problemlos mit dem Textmodus zusammen (sogar in höheren Auflösungen wie 132 mal 60 Zeichen), sie werden sogar durch speziell angepaßte Anwendungsprogramme zusätzlich unterstützt (wie z. B. Emacspeak).
Ein weiterer Vorteil ist die Verfügbarkeit vieler aktueller und mächtiger Software für den Textmodus, von Programmierumgebungen über Sound-Tools und Editoren bis hin zu E-Mail-Clients ICQ-Nachbauten [2.7] für dieses Betriebssystem, außerdem kann Software, die nur auf anderen Unix-Systemen läuft, per Netzwerk "ferngesteuert" werden (Remote Login, Telnet, X-Forwarding).
Um die Linux-Unterstützung für Blinde koordiniert zu verbessern, hat Hans Zöbelein im Sommer 1996 das Blinux-Projekt gegründet, siehe http://leb.net/blinux/. Derzeit existiert eine Mailingliste, in der sich mehr als 250 Mitglieder eingetragen haben. Ziel ist die Erstellung einer speziellen Linux-Distribution für Blinde, bei der sogar die Installation komplett per akustischer oder Braille-Navigation möglich ist. Hierbei wird wichtige Grundlagenarbeit bei der Entwicklung akustischer Schnittstellen geleistet, man denke an die Möglichkeiten auch für Sehende, die sich in Verbindung mit dem wohl bald oimnipräsenten tragbaren Computern eröffnen. Auch Schriften- und Hardwareerkennung weisen von ihrem Nutzen weit über das eigentliche Einsatzgebiet hinaus. Allerdings ist derzeit noch keine direkt einsetzbare Komplettlösung "von der Stange" erhältlich.
Literatur / Quellen: [2.5],[3.1],[3.2]
Speziell im WWW ist es oftmals mit geringem Aufwand möglich, die Seiten
für den Zugriff durch Blinde zu öffnen. So lassen sich
beispielsweise zu Bildern in HTML-Seiten sogenannte ALT-Tags definieren, die
den Inhalt des Bildes sinnvoll als Text umschreiben. Besonders bei Bildern,
die als Navigationselemente eingesetzt werden, ist dies wichtig. Ebenso sollte
man für Framesets einen ensprechenden alternativen Navigationsbereich
vorsehen, hier macht allerdings die etwas eigenwillige Interpretation des
<noframes>
-Tags durch Netscape-Browser Probleme, was jedoch
die 5er-Version beheben soll.
JavaScript-basierte Navigation läßt sich im allgemeinen auch so gestalten, daß sie ohne JavaScript auch funktioniert, ansonsten sind Alternativen zu schaffen. Allein schon, weil viele "normale" Anwender Javascript aus Sicherheitsgründen abgeschaltet haben, und man diese sonst auch aussperrt.
Sinnvoll ist es auch, in HTML semantische Auszeichnungen anstelle von
typografischen Auszeichnungen zu verwenden. Also <h1>
für
Überschriften, anstatt <Font size=+3>
. Beides sieht
normalerweise gleich aus, aber im ersten Falle kann speziell an Blinde
angepaßte Software die Zusatzinformation "Dies ist eine Überschrift
der obersten Ebene" in geeigneter Weise darstellen. Auch viele der
normalerweise offenbar wirkungslosen Tags wie <abbr> sind deshalb sinnvoll,
ebenso wie man für Listen oder Aufzählungen die entsprechenden Tags
verwenden sollte.
Mit den in HTML 4.0 eingeführten Cascading Style Sheets (CSS) bieten für den Web-Designer und HTML-Programmierer zwei Vorteile. Einerseits kann er Inhalt und Struktur klar und deutlich vom Layout und Typographie trennen. Es besteht also die Möglichkeit, ein eigenes Layout zu verwirklichen, das nicht der standardmäßigen Darstellung der Tags enspricht, und trotzdem auf Hilfsmittel wie blinde Tabellen zu verzichten. Ein Browser, der CSS nicht unterstützt, stellt die Seite dann im Standardlayout dar, ebenso wie eine Braille-Zeile im Textmodus vernünftige, verwertbare Darstellungen erzeugen kann. Speziell mehrspaltiger Satz oder grafische Positionierungen, die sonst mittels Bildern oder Tabellen nachgebildet werden, sind so leichter umzusetzen.
Als zweite Möglichkeit stehen in CSS 2.0 umfangreiche Steuerungen für die Sprachausgabe zur Verfügung, von der Stimmhöhe über das Geschlecht, die Härte und Lautstärke läßt sich jeder Aspekt steuern, theoretisch wäre sogar Gesang möglich. Außerdem lassen sich die Style-Sheets auch Medienabhängig definieren, so daß eine Seite für Druckausgabe, Bildschirm und Textkonsole unterschiedliche Definitionen verwendet. Allerdings ist die Unterstützung bei den bisher erhältlichen Browsern unterschiedlich schlecht ausgereift (siehe [2.8] und [2.9]). Opera bringt noch die besten Ergebnisse, der Internet Explorer 5 folgt mit brauchbaren Resultaten. Die Unterstützung durch die Netscape-Browser ist nur als Katastrophal zu bezeichnen, allerdings bieten die Beta-Ausgaben der neuen Layout-Engine Gecko die bisher beste, fast perfekte Implementierung - sie wird nach Fertigstellung unter anderem im Fünfer-Release der Netscape-Browser eingesetzt werden.
Ein gutes Hilfsmittel ist die Betrachtung der Seite mittels Lynx [2.10] - wenn sie dort ohne größere Einschränkungen benutzbar sind, dann sollten auch Blinde keine Probleme damit haben. Außerdem bietet CAST [2.16] mit Bobby eine automatische Überprüfung auf Accesibility und Browserkompatibilität - sowohl online, als auch mit lokaler Installation.
Literatur / Quellen: [2.6],[4.4]
Hier wird jeweils nur die einzelne Seite beurteilt, nicht das gesamte Angebot, und auch diese nur anhand einiger, spezieller Aspekte.
Natürlich existiert keine vollkommene Lösung, die umfassend jegliche Einschränkungen aufhebt, es bleiben für die Betroffenen noch genügend Schwierigkeiten im täglichen Leben. Allerdings können die meisten Betroffenen relativ gut damit umgehen, und die Einschränkungen ihrer Möglichkeiten kreativ ausgleichen. Trotzdem sollte man die unnötigen Beeinträchtigungen vermeiden, auch im eigenen Interesse.
Veröffentlicht in: H.-D. Böcker (Hrsg.): Software-Ergonomie 95 Ð Fachtagung der German Chapter of the ACM und der Gesellschaft für Informatik vom 20. bis 23.2.1995, in Darmstadt Stuttgart 1995: B.G. Teubner. 93-105.
L. H. Boyd, W. L. Boyd, G. C. Vanderheiden: Graphics-Based Computers and the Blind: Riding the Tides of Change, in: Proceedings of the 6th Annual Conference "Technology and Persons with Disabilities" Los Angeles, 20-23.3.1991.